Pässesüchtig

Wann spricht man eigentlich von einer Sucht? Hat nicht Jeder von uns irgend eine Art von Sucht? Wo liegt der Unterschied zwischen Leidenschaft und Sucht? Ich denke, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es gab schon Menschen die mich als Sportsüchtig bezeichnet haben. Für mich persönlich ist Sport keine Sucht, ich habe einfach seit ich denken kann einen grossen Bewegungsdrang und liebe es, mich körperlich zu betätigen und mir immer wieder neue Herausforderungen und sportliche Projekte zu setzen. Ohne Bewegung könnte ich mir mein Leben nicht vorstellen und würde wohl völlig durchdrehen und vor Ungeduld platzen. Meine schlechten Eigenschaften sind meine grosse Ungeduld, das nicht stillsitzen zu können sowie meine Traumwelt. 

Wer mich kennt, hat bestimmt bereits festgestellt, dass ich, egal bei welcher Sportart, am liebsten bergauf laufe oder fahre. Natürlich bevorzuge ich beim Skitourengehen die Abfahrten im Pulverschnee oder beim Biken die Singletrails. Für mich gehört das Bergauffahren- oder laufen aber genauso dazu und ich schätze die Abfahrt dann umso mehr. Ganz speziell ausgeprägt ist die Liebe fürs Bergauffahren beim Rennradfahren. Für mich gibt es nichts Schöneres als Pässe. Das war natürlich nicht immer so. Als ich mit Rennradfahren begann, war ich eher eine Flachlandfahrerin. Die Liebe fürs Bergauffahren kam bei mir, glaube ich, im 2014 als ich mit Nicole für unsere Teilnahme an der Tortour trainierte. Mein Bruder gab mir damals Tipps und da ich im Emmental lebte, entdeckte ich die unzähligen kleinen und abgelegenen Pässe des Emmentals. Richtig bergsüchtig wurde ich nach der Platinrunde des Alpenbrevets im 2015, welche ich mit Robi erfolgreich absolvierte. Die Pässe und Berge wurden zu meiner Passion. Da ich während der Wintersaison immer sechs Monate Velopause mache und mit den Tourenskis Höhenmeter sammle, bringe ich jeweils auf die Sommersaison bereits eine gute Grundlage mit und kann diese schnell aufs Berghochfahren adaptieren. 

Neues Rennvelo - neues Glück

Mein neues Rennvelo, welches ich seit März 2023 besitze, hat an der Kurbel einen Wattmesser. Roger hat mir im Frühling einen GPS-Computer von Wahoo geschenkt, weil mein Garmingerät nach der Winterpause bereits wieder den Geist aufgegeben hatte. Mit Garmingeräten hatte ich bis jetzt immer nur Probleme und die Garantieleistungen sind alles andere als kundenfreundlich. Ich bin total happy mit dem neuen Gerät, da dieses Wahoo-Gerät wieder richtige Knöpfe hat und nicht mit Touchscreen funktioniert. Auch habe ich diese Wattfunktion lieben gelernt! Ich habe noch nie mit einem Trainingsplan oder einer Pulsuhr trainiert, immer nur nach Lust & Laune und nach meinem Gefühl. Umso cooler, dass ich jetzt mit der Wattmessung eine Zahl hinter meinem Gefühl habe! Zahlen lügen nämlich nicht! Anfang Saison konnte ich mit einer Wattleistung von 250 stundenlang fahren. Neu ist meine Wohlfühlwattleistung bei 280 - 300 Watt. So kann ich meine langen Pässefahrten und Projekte gut einteilen. Und es ist einfach ein unglaublich geiles Gefühl wenn man beim Berghochfahren in dieses Flow-Gefühl gelangt und die Beine einfach drehen als gäbe es kein Morgen. Wenn ich süchtig bin, dann nach diesem Gefühl. 

#Grimselchallenge

Als Anfang Juni die Pässe im Goms offiziell öffneten, konnte ich ohne schlechtes Gewissen mit dem Rennvelo die Pässe erklimmen. Weil ich ab und zu in Oberwald arbeite, kann ich die Mittagszeit für eine Ausfahrt auf den Grimselpass nutzen. Eigentlich wollte ich mir zu meinem 40. Geburtstag dieses Jahr eine Challenge von einer Pässetour mit 40 Pässen am Stück setzen. Da ich aber im Tourismus arbeite und leider keine Sommerferien habe, musste ich dieses Projekt schon bald wieder vertagen. So kam mir die Idee, dass ich diese Saison 40 x den Grimselpass erklimmen möchte.  Zuerst war meine Challenge 1 x vor der Arbeit, 1 x über Mittag und dann am Abend gleich nochmals auf den Grimselpass zu fahren. Und weil das so gut geklappt hat und ich am letzten Wochenende Niemanden für eine Bergtour fand, habe ich mir gedacht, ich könnte einfach mehrere Male am Stück den Grimselpass erklimmen.

Am Samstag musste ich bis Mittag arbeiten, machte dann noch ein Bike & Run und ging um 19.00 Uhr ins Bett. Weil es auch im Goms so fürchterlich heiss war und meine Nachbarn eine Grillparty hatten, war an Schlaf nicht zu denken. Ich wälzte mich im Bett hin- und her bis es dunkel wurde. Irgenwann schlief ich ein. Um 2 Uhr in der Früh stand ich auf, ass eine riesen Portion Porridge mit Proteinpulver und Früchten und machte mich mit Sämi (Roger hatte unseren Bus übers Wochenende in Blitzingen stationiert) auf nach Oberwald. In Oberwald bezog ich mein Basecamp und startete um 3 Uhr bei milden Temperaturen mit dem Rennvelo in Richtung Grimsel. Eine wunderschöne Nachtstimmung mit klarem Sternenhimmel hat mich richtiggehend beflügelt. Durch den Schlafmangel und weil ich bereits am Montag davor eine Rennvelotour mit 6 Pässen und 6'000 Höhenmetern absolviert hatte, war meine Form natürlich nicht bombastisch und ich musste mich zügeln, nicht zu viel Gas zu geben. Keine Autos, keine Menschen, nur ich, mein Rennvelo und die Berge. Erst auf den letzten 100 Metern vor dem Passschild kam mir ein Auto entgegen. Auch die erste Abfahrt konnte ich noch ohne Autos etc. geniessen. Beim zweiten Aufstieg begegneten mir bereits drei Autos. Nach der zweiten Abfahrt musste ich aufs Klo und ich gönnte mir zwei Gipfeli und einen Espresso. So nahm ich Aufstieg für Aufstieg.

Mein Ziel war es mindestens 5 x hochzufahren. Ich hatte Zeit bis um 14.30 Uhr, denn um 14.39 Uhr wollte ich den Zug nach Realp erwischen, um mich mit Roger zu treffen. Er war vier Tage in einem Bergsteigerkurs in der Rotondohütte und wir hatten uns verabredet um einen Gutschein in einem Restaurant in Andermatt endlich einlösen zu können. 

Jeweils nach zwei Fahrten legte ich bei Sämi eine Pause ein und gönnte mir etwas zu essen. Nach Fahrt Nr. 6 hatte ich grosse Lust auf Salziges. Ich ass eine Packung Chips zusammen mit einem alkoholfreien, kühlen IPA NON Bier aus der Migros. Übrigens das allerbeste alkoholfreie Bier, das ich kenne! Als Migroskind mache ich gerne etwas Schleichwerbung! ;-) 

Wie die Temperatur nahm auch der Verkehr von Fahrt zu Fahrt zu. Es wurde brutal heiss und der Verkehr war unglaublich. So setzte ich mir nach der Chips-Pause zum Ziel noch ein 7. Mal hochzufahren und das letzte Mal nochmals Gas zu geben. Die Beine drehten immer noch super, nur der Rücken schmerzte (Krämpfe) und durch die Hitze bekam ich Kopfschmerzen und ich musste wegen den vielen Autos, Töffs und Campern immer voll fokussiert bleiben. Nach der letzten Abfahrt wusch ich mich in einem Brunnen, trank nochmals ein Bier und leerte meine Peanut-Butter Dose, die ich noch im Sämi hatte! Ich war mega happy und zufrieden und freute mich auf das Wiedersehen mit Roger in Realp. Wieder ein Häkchen mehr auf meiner Bucketlist. ;-)

Aktuell war ich bereits 19 x auf dem Grimsel-, 6 x auf dem Furka, 4 x auf dem Nufenen- und 3 x auf dem Gotthardpass! Und nein, es ist mir noch nicht verleidet und ich bin gespannt, wie oft ich diese Pässe in dieser Saison noch befahren werde! Süchtig oder nicht? Ich nenne es einfach eine Leidenschaft und wenn man im Goms lebt - dann ist das doch der ideale Spielplatz.

Pura vida

Cristina⁸